07.02.2013

Eine Erinnerung an Mathilde Wesendonck

Zeitschrift für Musik. 101. Jahrgang, 1934Eine Erinnerung an Mathilde Wesendonck


1934

Zeitschriftenaufsatz


Ein Aufsatz von Otto Richter aus dem Jahre 1934, der in der Zeitschrift für Musik veröffentlicht wurde und seine Dresdner Erinnerungen an Mathilde Wesendonck zum Inhalt hat. [1]


In der Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden (SLUB) befindet sich das Manuskript zu diesem Aufsatz von Otto Richter. [2]

Otto Richter: Eine Erinnerung an Mathilde Wesendonck. 1933
Briefumschlag zum Manuskript Eine Erinnerung an Mathilde Wesendonk, um 1933.

 

Zeitschrift für Musik. 101. Jahrgang, Heft 5, Mai 1934
Zeitschrift für Musik. 101. Jahrgang, Heft 5, Mai 1934.

Eine Erinnerung an Mathilde Wesendonck.

Von Otto Richter, Dresden.

Im Winter 1881/82 habe ich einmal einen unvergeßlichen Nachmittag und Abend im Dresdner Heim der Wesendoncks* verlebt. Heinrich Schulz-Beuthen, der Franz Liszt nahestehende Dresdner Tondichter (er war mein Theorielehrer), führte mich auf Frau Wesendoncks Veranlassung dort ein. Es sollte, wie schon so oft, an jenem Abende rezitiert und auch ein neues instrumentales Opus von Schulz-Beuthen, den damals in hohem Ansehen Stehenden, aus der Taufe gehoben werden, und dies unter Mitwirkung des Komponisten, meiner Base Elisabeth externer Wiki-Link von Beschwitz und des Schreibers dieser Zeilen. Wenn ich nicht irre, wirkte auch der 10jährige Enkelsohn der Wesendoncks, Friedrich Wilhelm von Bissing (dessen Pate der spätere externer Wiki-Link Kaiser Friedrich III. war)1 dabei mit, wenn auch nur als "Umwender". Freudigen Herzens holten E. v. Beschwitz und ich den Komponisten und seine Gattin aus deren in der Winkelmannstraße gelegenen Wohnung ab. Bald gelangten wir zur Wesendonckschen Villa, Ecke Goethe- und Wienerstraße im "Englischen Viertel". Hier wohnte die Familie seit 11 Jahren, nachdem sie ihr Züricher Zauberschlößchen auf dem "Grünen Hügel" verlassen hatte. Dieses ihr Dresdner Heim war ein großer vornehmer Renaissance-Bau, in dessen schön gepflegtem Vorgarten ein Bronceabguß des antiken betenden Knaben stand. Auf unser Glockenzeichen (elektrische Hausklingeln gab es noch nicht) erschien ein würdiger alter Diener, ein altes Faktotum, das schon auf dem "Grünen Hügel" so manches miterlebt hatte, und in seinem Gefolge noch andere Bedienstete, deren die reiche Familie ein ganzes Korps (2 männliche und 6 weibliche) besaß. Klopfenden Herzens betraten wir das Haus, von den beiden freundlichen Söhnen Hans und Karl Wesendonck empfangen. Diese führten uns zunächst in die "Gemäldegalerie" des Hausherrn, den Sammelplatz der Gäste. Bald darauf erschienen auch unsere lieben Gastgeber. Otto Wesendonck fiel uns sogleich auf durch seine treuherzige, liebevolle Art der Begrüßung. Frau Mathilde aber mit ihren feinen Gesichtszügen, den gütigen, klugen Augen sowie dem vollen, in der Mitte gescheitelten Haare machte trotz ihrer 54 Jahre einen noch jugendlichen, jedenfalls ungemein gewinnenden Eindruck. Von ihren innigen Beziehungen zu Richard Wagner ahnte ich damals noch nichts. Auch die Dresdner wußten wohl nur, daß sie die vornehme Patrizierin war, die mit feinstem Geschmack in ihrem "Hause der Freude", wie sie ihr Heim nannten, Feste von unvergleichlicher Schönheit gab und "die geistig bedeutendsten Menschen dort zu regem Verkehr zusammenführte, ja durch ihren edlen Takt und ihre Herzensgüte jahrelang entfremdete, ja verfeindete Männer der Wissenschaft und Kunst versöhnte und zu gemeinsamem Wirken für große Aufgaben vereinigte". (H. Göring.) Wie ich, der damals noch unreife Jüngling, dazu kam, in diese illustre Gesellschaft eingeführt zu werden, ist mir heute noch rätselhaft. Wenn auch unbewußt, wurde ich dadurch eines großen Erlebnisses teilhaftig, der persönlichen und nahen Berührung mit Otto und Mathilde Wesendonck. Dafür werde ich mein Lebtag dankbar sein!
 
Mit einem glänzenden Diner begann der Festabend. Hierauf folgte nach literarischen Vorträgen und Rezitationen (denen ich damals wohl noch nicht immer zu folgen vermochte) unsere instrumentale Darbietung. Diese trug dem Komponisten und uns Mitwirkenden warmen und herzlichen Beifall ein. Mathilde Wesendonck dankte uns mit warmem Händedruck. Dann spielte Prof. Hermann Scholtz Chopin. Ganz herrlich. Liszt bezeichnete ihn damals als den besten Chopinspieler. Auch Franz Ries, der Unvergeßliche, ließ sich, von unserem "Onkel Scholtz" begleitet, auf seiner Meistergeige hören. Ich glaube, er spielte (mit Scholtz) die G-dur-Sonate von Brahms. Ries entstammte einer alten Musikerfamilie, sein Ahnherr war bekanntlich Franz Anton Ries, der Violinlehrer und Freund Beethovens. In der Folge wurden wir noch durch eine besondere Gabe erquickt: Ein Mitglied der Hofoper (wenn ich nicht irre, war es Frau Klementine v. Schuch-Proska) sang Wagners Wesendonck-Lieder, die damals noch fast unbekannt waren. Eine tiefe Bewegung ging durch die Reihen, die ich mir damals nicht recht erklären konnte. Während dieser Gesänge saß Frau Mathilde, der ja diese 5 Lieder "als intimste Huldigung des großen Meisters" galten, in einer in Dämmer gehüllten Nische, von uns Gästen ungesehen. "Niemand ahnte den Grund dieser tiefen Pietät, die ein Heiligtum in der tiefsten Stille des Herzens vor jeder Entweihung durch offenkundiges Preisgeben wahrte. Außer dem Gemahl, diesem innerlich vornehmen Charakter, konnte niemand dies fast seltsame Gebahren verstehen." Als Gäste wohnten jenem unvergeßlichen Abende, soweit ich mich erinnere, bei: der Kunsthistoriker externer Wiki-Link Hermann Hettner, der dem Hause besonders nahe stand, sowie der Maler Kietz (Wagnerschen Pariser Angedenkens!). Auch der Dichter und Literaturhistoriker externer Wiki-Link Adolf Stern (seine Frau Margarete war eine bekannte Liszt-Schülerin) spendete irgendeine Gabe (Hölderlin?). Der liebevolle externer Wiki-Link Ludwig Richter aber, der so gern in Wesendoncks Gemäldegalerie weilte und dort seine "feinen Bemerkungen über Malerei an einzelne Werke der alten Italiener knüpfte", hatte leider abgesagt. Er stand damals schon im 80. Lebensjahre. Keine Gelegenheit hatte ich bisher versäumt, ihn zu sehen. Regelmäßig war solches der Fall Sonntags 11 Uhr in der katholischen Hofkirche, wo der liebe Meister während der Messe-Musik auf dem Eckplatze der vordersten Bank des rechten Seitenschiffes zu sitzen bzw. zu knien pflegte, seinen Blick dem herrlichen Altarbilde Torellis zugewendet.2 Nicht lange vorher hatte ich einmal im Saale des "Gewerbehauses" während eines Symphoniekonzertes der Königlichen Kapelle neben ihm gesessen, wo eine unvergleichliche Wiedergabe der B-dur-Symphonie von Beethoven unter meinem Lehrer externer Wiki-Link Franz Wüllner sich meinem jungen Herzen tief einprägte. Noch heute sehe ich dabei Ludwig Richter mit etwas seitlich geneigter Kopfhaltung, andächtig lauschend, zu meiner Rechten. Otto und Mathilde Wesendonck hatten ihren Platz in der 1. Saalreihe, nicht weit von der Königlichen Familie.
 
Doch noch einmal zurück zum Eckhause Goethestraße! Was mir an jenem Abende noch im Einzelnen zum Erlebnis wurde, vermag ich heute, nach 52 Jahren, nicht mehr zu sagen. Soviel aber weiß ich, daß unsere gütige Gastgeberin (sie führte uns zwischendurch auch mal in ihr fürstliches, mit blauer Seide ausgeschlagenes Zimmer) wirklich die erlebte Isolde Richard Wagners gewesen ist, "deren vornehm nordischer Weiblichkeit die unantastbare Reinheit ihrer Ehe mit dem herzenstreuen, über allem kleinlichen Argwohn erhabenen Otto Wesendonck eine Selbstverständlichkeit war". Rich. Wagner pries sich und beide Wesendoncks glücklich, daß es "so etwas gab", wie die ungetrübte Züricher Freundschaft dieser drei Menschen. Wie keusch pietätvoll diese herrliche deutsche Frau ihr "hold Geheimnis" wahrte – gleich der Elisabeth des Tannhäusers – das sieht man daran, daß sie von 1858 bis 1900 nie ein Wort über ihren Geistesbund mit Rich. Wagner sprach, bis unrichtige Urteile darüber sie zwangen, die Tagebuchblätter und Briefe zu veröffentlichen, die schon fast in 100. Auflage in den unschätzbar wertvollen Dokumenten vorliegen: "Richard Wagner an Mathilde Wesendonck" (Tagebuchblätter und Briefe 1853 bis 1871, herausgegeben, eingeleitet und erläutert von Wolfgang Golther. Mit einer Notenbeilage: Fünf Gedichte für eine Frauenstimme. Leipzig, Breitkopf & Härtel, 1922).3  

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1 Seine Tante von Bissing verkehrte im Hause meines Dresdner Onkels von Beschwitz (meinem damaligen Domizil). Ich sah sie dort zuweilen bei Tisch.
2 Übrigens stand L. Richter kirchlich ähnlich wie H. v. Herzogenberg, Rosegger und Reger. Er war auch mit dem Berliner Oberhofprediger D. Kögel bekannt und vertiefte sich gelegentlich in die protestantische Kirchenzeitung externer Wiki-Link Hengstenbergs.
3 Mehr über Mathilde Wesendonck in Dresden siehe in "Erinnerungen an Mathilde Wesendonck" von Dr. H. Göring, "Türmer", 1926, Heft 8.
* Texthervorhebungen im Original gesperrt geschrieben. (TS)

 

Bilder:
  1. Vergrößern  Bosse, Gustav (Hrsg.): Zeitschrift für Musik. Monatsschrift für eine geistige Erneuerung der deutschen Musik. 101. Jahrgang, 1934.

Quellen:
  1. externer Link Archive.org 
  2. externer Link SLUB Dresden [Mscr.Dresd.App.2366]

Links:

Bibliografie:
  • Richter, Otto: Eine Erinnerung an Mathilde Wesendonck. Dresden. In: Bosse, Gustav (Hrsg.): Zeitschrift für Musik. Monatsschrift für eine geistige Erneuerung der deutschen Musik. Gegründet 1834 von Robert Schumann. 101. Jahrgang, 1934, I. Halbjahr (Januar mit Juni), Heft 5. Gustav Bosse Verlag, Berlin, Regensburg u. a. Mai 1934, S. 498 - 500. 


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