22.06.2010

Brief 13. Juli 1862

Wolfgang Golther: Briefe Richard Wagners an Otto Wesendonk. 1852 - 1870. Alexander Duncker, Berlin 1905Brief vom 13. Juli 1862


Richard Wagner an Otto Wesendonck


Ein Brief von Richard Wagner an Otto Wesendonck aus dem Jahre 1862.


Ottos Frau, Mathilde Wesendonck, hat am 16.06.1862 in Zürich ihren Sohn Hans zur Welt gebracht.
 
Otto Wesendonck war Teilhaber der Firma Loeschigk, Wesendonck & Co mit Sitz in New York.

Der Maler Cäsar Willich soll im Auftrag von Otto Wesendonck ein Ölgemälde von Richard Wagner, der sich gerade für ein paar Monate in Biebrich aufhält, anfertigen.

Der Pianist Hans von Bülow und seine Frau Cosima weilen zu dieser Zeit in Biebrich.
Das Ehepaar Schnorr von Carolsfeld hält sich ebenfalls gerade hier auf, da beide die Hauptrollen in Wagners Oper Tristan und Isolde besetzen sollen.  

Biebrich, 13. Juli 62.

Bester Freund!

Ihre letzten Nachrichten haben auch mir das Herz sehr erleichtert. – So mögen denn Hans und Mama glücklich gedeihen! –
Zugleich erhalte ich dadurch den Muth, Ihnen eine ernste Bitte vorzutragen.
Ein junger Mann von 22 Jahren, einer mir recht werth gewordenen einfachen Familie in Mainz angehörend, ist zum Handelstand bestimmt worden und gegenwärtig in einem Seidengeschäft in Barmen. Die Mutter, eine Wittwe von eben nicht grossem Vermögen, theilte mir gelegentlich die Klagen des jungen Mannes mit, einmal dem Handel bestimmt, diesem sich nicht nach seiner grossartigen Seite zuwenden zu dürfen. Sein Wunsch sei sehnlich auf Amerika gerichtet. Nehmen Sie mir es nicht übel, dass ich Ihrer gedachte, und den Gedanken fasste, den jungen Mann Ihnen persönlich vorzustellen, mit dem Wunsche, er möge Ihnen, wie ich gar nicht bezweiflen kann, gefallen und Ihr Zutrauen gewinnen. Es handelte sich dann einfach darum, dass Sie ihn in Ihr New-Yorker Geschäft als Commis aufnähmen, wodurch sein heissester Wunsch erfüllt würde.
Demnach soll er sich Ihnen in diesen Tagen in Zürich selbst vorstellen; vielleicht drängt die Zeit, die ihm jetzt zu einem Besuch vergönnt ist, zu sehr, als dass wir erst noch eine Antwort auf diesen Brief abwarten könnten, demnach er denn früher zu Ihnen kommen würde, um sich die Entscheidung selbst zu holen. Da ich viel von seinem persönlichen Eindruck auf Sie erwarte, ziehe ich es fast vor, von Ihnen keine Entscheidung zuvor zu erfahren. Nur wenn es unter allen Umständen durchaus unmöglich wäre, ihn zu engagiren, wäre allerdings vorzuziehen, wir ersparten ihm die Reise. – Doch bitte ich Sie, nehmen Sie diesen Fall ernstlich, und lassen Sie sich durch keine zufällige Nebenrücksicht zu unsren Ungunsten bestimmen. –
Ich bin durch mein persönliches Misgeschick, durch den ewigen Kampf um meine Existenz so traurig gestellt, dass ich so wenig daran denken kann, einem Nebenmenschen einmal zu nützen. Treten Sie in solchem Falle ein, so nehmen Sie für mich eine Stelle ein, die ich so gern selbst einmal betreten möchte. Lassen Sie sich also herzlichst gebeten sein! –
In diesen Tagen habe ich viel Besuch hier: Bülow's sind auf 2 Monate da; zu ihnen haben sich für einige Zeit Schnorr von Carolsfeld (der Sohn – Tenorist) nebst Frau, gesellt, denen ich den Tristan einstudire, welchen sie diesen Winter in Dresden herauszubringen hoffen.
Mit der Arbeit geht es gut, aber leider so langsam vorwärts, dass ich sehr trübe für meine nächste Lebenslage besorgt bleiben muss. –
Doch will ich versuchen, meinem Maler ein so freundliches Gesicht wie möglich zu zeigen.
Nochmals meinen innigsten Glückwunsch zum Gedeihen Ihrer Familie: Sie zweiflen wohl an meiner ernsten Theilnahme nicht? Die besten Grüsse von

Ihrem
Rich. Wagner.

(Auch mich hat Sleipner sehr gerührt!)


Bilder:
  1. Briefe Richard Wagners an Otto Wesendonk. 1852 - 1870. Berlin 1905.

Quellen:
  1. Golther, Wolfgang (Hrsg.): Brief 43. In: Briefe Richard Wagners an Otto Wesendonk. 1852 - 1870. Verlag von Alexander Duncker, Berlin 1905, S. 103 ff. 

Links:

Bibliografie:
  • Golther, Wolfgang (Hrsg.): Briefe Richard Wagners an Otto Wesendonk. 1852 - 1870. Verlag von Alexander Duncker, Berlin 1905.  


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