08.08.2010

Neue Lieder 1876-77

Briefwappen Mathilde WesendonckNeue Lieder


1876/77

Autografen-Gedichte-Sammlung 


Ein Gedichtszyklus von Mathilde Wesendonck aus den Jahren 1876/77, der im Wesentlichen nur als Manuskript überliefert ist.


Diese Gedichte sind Teil des Manuskriptes Neue Lieder. 1876.77 aus den Jahren 1876/77 [II A 5]. [1] 
Nur ganz wenige dieser Gedichte wurden zu Lebzeiten veröffentlicht bzw. in neueren Zeiten abgedruckt (z. B. im Buch von Judith Cabaud Mathilde Wesendonck ou le rêve d'Isolde, 1990 [3]).
Die ersten fünf Gedichte dieser Autografensammlung wurden 1878 im Sammelband Caritas publiziert [2]. 
 
Mathilde Wesendonck: Titelseite Autografensammlung Neue Lieder 1876.77
Wesendonck, Mathilde: Titelseite der Autografensammlung Neue Lieder 1876.77. [1]
 

Diese Autografensammlung enthält folgende Gedichte:
Neue Lieder. 1876
Lieder. 1877
  
 
 
Neue Lieder. 1876
 
I. bis V.
 
interner Link Fünf Gedichte (Gedichtesammlung, Caritas 1878) [2]
 
 
  
I.
Sterne mit den gold'nen Augen

 
Sterne mit den gold'nen Augen
Die nur für den Aether taugen,
Eu'rer Herkunft Koenigsmale
Führt Ihr an der Stirn im Strale!
 
Sonne mit der gold'nen Krone
Trug Euch unterm Flammenherzen,
Wie die Mutter nach dem Sohne
Sehnt sie sich nach Euch in Schmerzen!
 
Selig einstens, da Ihr ruhtet
Ihr am Busen feuertrunken,
Die Ihr nun im Welten Raume
Irrt, zerstreute Sonnen Funken!
 
Wandert, wandert sonder Wanken,
Meiner Nächte lichte Wonne,
Einst auch fallen Aether Schranken
Nur Ihr sinkt an's Herz der Sonne! [1]
 
 
  
II.
Möchte meine Flügel breiten

 
Möchte meine Flügel breiten
Flieh'n in's unerforschte Land,
Zieh'n in ungemeß'ne Weiten
Die mein kühner Geist erkannt!
 
Flieh'n der Erde traute Nähe,
Die so angstvoll uns umspannt,
Wiege sie, von Wonn' und Wehe,
Die im Ring des Leid's uns bannt!
 
Flieh'n an's Ende aller Tage,
Wo kein Herz in Jammer ?ingt,
Flieh'n wohin kein Laut der Klage
Und kein Hauch der Sehnsucht dringt!
 
Ach, in dieser ?einsten Ferne
Fühlt' ich minder eig'nen Schmerz,
Und dem schönsten aller Sterne
Sänk ich jauchzend an das Herz! [1]

 
 
III.
Mein Federkleid, wo kam es hin?

 
Mein Federkleid, wo kam es hin?
Sie haben's weggeschlossen,
Mir zu entfremden den eig'nen Sinn,
Das hat mich arg verdrossen!
 
Zur Morgen Röthe will ich geh'n
Unsterbliche Rosen zu pflücken,
Der Sonne im Vorübergeh'n
an's heiße Herz zu drücken!
 
Von Sternen einen Kranz ich wind'
Um's Strahlen Haupt der Sonne:
Das Welten Auge würde blind —
Ich aber stürb' vor Wonne! — [1]

 
 
IV.
Wie schimmerst Du im Blüthenschmuck

 
Wie schimmerst Du im Blüthenschmuck
Du wunderschöne Welt,
Wenn lachend an sein Herz Dich drückt
Der Lenz, Der frohe Held!
 
Wie zeigst Du mild und gütig Dich
In Werden's Jugend Lust,
Schon wähnt' ich, ach, geborgen mich,
Ein Kind an Mutter Brust!
 
Du lächelst, und Dein Sonnen Blick
Senkt sich als Stral in's Herz,
Doch seine Saat ist zehrend Gift
Und seine Blüthe: Schmerz.
 
Wie Saat und Blüthe schießen auf
Die Schmerzen von Tag zu Tag,
Dem Herzen, Das in Sehnsucht ringt,
Kein Gott mehr helfen mag! — [1]

 
 
V.
Auf der Sehnsucht Nachtigallen Schwingen

 
Auf der Sehnsucht Nachtigallen Schwingen
Möcht ich klagend mich zur Sonne heben,
Klagen bis die Flammen wieder klingen
Und des Lichtes Wellen tönend beben!
 
Solchen Weh Laut hauchten meine Lieder,
Wiederhauchten's tausend Feuer Zungen,
Nur des Weltall's Räume hallten wieder
Schmerzens Lehrer, der Erde abgerungen!
 
Wehmuth wäre dann der Schöpfung Atem,
Wehmuth aller Welten Harmonie,
Nur ergriffen sänken Mond u. Sterne
Vor der armen Erde auf die Kniee! [1]

 
 
VI.
Ist die Rosen Zeit am Himmel angebrochen?

 
Ist die Rosen Zeit am Himmel angebrochen?
Will eine Königin lustwandeln geh'n,
Und haben Jungfrau'n Hände Rosenblätter
Zum Teppich ihrer Füße auserseh'n?
 
Hat Lieb' ihr schüchtern erstes Wort gesprochen?
Sind Thränen höchster Wonne hier geflossen
Und hat die Schaam mit zartem Rosen Beth
Ein jungfräuliches Antlitz übergossen?
 
Ward frevelhaft hier schnöde That verbrochen?
Ist Unerhörtes, nie zu sühnendes gescheh'n?
Die Purpur Woge, Die im Aether fluthet,
Verkündet sie dass, Ach, ein Sonnen Herz verblutet? [1]

 
 
VII.
Wenn ein Sonnen Auge bricht

 
Wenn ein Sonnen Auge bricht,
Löscht im Welten Haus das Licht,
Chaos sorgt mit Todes Schauern
Ein des Welten Herzens Trauern,
Welten Schicksal scheint erfüllt.
 
Nur ein Seufzer schwer u. bang
Der der All Brust sich entrang,
? durch den Welten Raum.
Um des Leben's blühn'des Bild
Verblasst zum Traum!
 
Weh! Wer wird es beklagen?
Weh! Wer wird von ihm sagen?
Welten wälzen sich stumm
Endlos im Wirbel um,
Wälzen sich fort und fort —
Nur das erlösende Wort
Finden Sie nimmer! —
 
Aber ein zündender Stral
Fällt auf ein friedliches Thal,
Ew'ger Verjüngung Schwelle
Schaft er lebenerzeugende Helle,
Weckt aus Todes stumme Schweigen
Sich ein fühlendes Herz zu Eigen,
Ahnungsvoll — errinnrung's schwer —
Schöpfungs Wehen zu entbinden,
Um im Liede zu verkünden,
Was kein Auge je geseh'n:
Welt-Untergang und Aufersteh'n. — [1]

 
 
VIII.
Entfacht den lodernden Welten Brand

 
Entfacht den lodernden Welten Brand
Den Erd Ball zu umfluthen,
Entfesselt der Flamme blutrothes Band,
Die zischelnden, züngelnden Gluthen!
 
Zum Untergang ist sie reif
Die kränkelnde, alternde Erde,
Ein nebelgleicher Kometen Schweif
Verschluckt vom Sonnen Herde!
 
In's Meer der Vergessenheit sinke sie jach,
Frohlockend stürze das Unheil ihr nach,
Zum Scherz der Vernichtung fahr' sie hinab,
Ihr Sturz sei des Elends bergendes Grab. —
 
Hinab mit Teufelsspuk und Wahn,
Der Knechtschaft Fluch sei abgethan,
Verdammniss, Hölle, Tod und Teufel,
Verrath und Missgunst, Lug und Zweifel,
All' Noth und Sorge, Schand' und Schmach,
All Ach und Weh, ihr nach, ihr nach!
 
Nur alles was die Erde schafft,
Die schöne Erde, — zum Jammer Thal;
auf immer sei hinweggerafft
Was Menschen schafft zu Trägern der Qual!
 
Der Mensch ersteh' in seiner Kraft,
In seiner Schönheit Urnatur,
Frei folgend der Erkenntniss Spur!
Gelöscht an der Stirne der Sünde Mal,
Getilgt aus dem Lebens Buche die Schuld
Des Leiden's Pfade geebnet zur Huld!
 
       Und also vergeh'
       All Erden Weh,
       All Herzens Noth
       Und Liebes Tor!
 
O selig Vergeh'n! Entsühnt, gefeit,
Von Schlacken das edle Metall befreit,
Als reines Gold im Schooss der Zeit
Vorahnen Werden's Herrlichkeit! — [1]

 
 
IX.
Sonne, gieb uns eine Tochter

 
Sonne, gieb uns eine Tochter
Eine Tochter, die Dir gleiche,
Ohne Gleiche, Stralen Reiche,
Eine Tochter licht u. schön
Wie Du selber anzuseh'n!
 
Schön're Sonnen sie umflammen,
Sanft're Monde sie umgleisen,
Licht'rer Sterne sel'ge Weisen
Singen ihren Schlummer ein,
Schwand des Tages gold'ner Schein!
 
Sonnen Jungfrau, ringgeschmückte,
Die aus Flammen Mark gezogen,
Durch des Welten Aether's Wogen
Wand'le Du, der Mutter Bahn,
Wie im Silber Teich der Schwan!
 
Sieh', ein königlicher Freier,
Naht der Lenz auf grüner Matte,
Bald als Bräutigam u. Gatte
Grüsst Er seine süsste Braut,
Ihm auf ewig angetraut! —
 
Heim der Liebe! Lenzes Heimath!
SchöneWelt, Du Welt der Wonnen,
Wo, am Lichte rein'rer Sonnen,
Wahr und treu und immergrün
Herzen sich entgegenblüh'n! — [1]

 
 
Lieder. 1877
 
1.
Ein stilles Freuen klingt durch mein Gemüthe

 
Ein stilles Freuen klingt durch mein Gemüthe,
Wie Glocken Läuten durch die lange Nacht,
Es wächst u. schwillt, ein holdgedämpftes Tönen
Das mir zum Saitenspiel den Busen macht!
Ist es ein Kuss, Den mir Dein Herz geschickt?
Ein Dein-Gedenken, Das mich so beglückt?
Ist's lang verhalt'nes Jauchzen treuer Liebe?
Ist's Wehmuths Hauch, dass sie vereinsamt bliebe?
Ist's Flügel Schlag von neuem sel'gen Hoffen?
Ahn' ich Dein Herz wie meinen Himmel offen? [1]
 
 

2.
Ich wollte kommen wie der Frühling kommt

Ich wollte kommen wie der Frühling kommt,
Mit Sang u. Klang, mit Blüthen, Duft u. Wonne,
So woll't ich durch das Leben Dich geleiten,
Der Erde Schätze vor Dir auszubreiten!

Wie Sonnen Strahlen wollt' ich zu Dir kommen,
Das stille Haus vergolden so mit Schein,
Dass Du geblendet, nicht mich solltest kennen,
Und halb verdriesslich zögernd riefst: herein!

Ich wollte kommen wie das Abend Roth,
Den Rosenkranz, Dir, auf die Stirn' zu drücken,
Ich wollte kommen ganz nur Dein zu sein,
Ich wollte kommen ganz Dich zu beglücken!

Doch, brächte meine Liebe Dir nur Pein,
Doch, brächte meine Liebe Kampf u. Noth,
Viel lieber sargt' ich sie lebendig ein
Und würgte sie im eig'nen Herzen todt! [1, 3]

Das Lied 2 diente Cyril Plante als Libretto für das Lied 1 seiner Neuen Wesendonck Lieder

 

3.
Die blüthenschwang're, wonnereiche Zeit

 
Die blüthenschwang're, wonnereiche Zeit;
Sie hat für's ganze Leben uns geweiht,
Das Meiste, drum sich Menschen sorgen, grämen,
Uns haftet's nicht, wir Beide sind gefeit.
Wir dürfen uns der müss'gen Klage schämen,
Was unser ist, Sie können's uns nicht nehmen,
Was uns versagt, wir gönnen's ohne Neid.
Des Menschen Schicksal's Dornenkron' u. Blüthe,
Wir tragen unentweiht sie im Gemüthe,
Das Eine, was das Innerste ergreift,
Das Ein-und-Alles, was die Liebe reift,
Des Herzen's Noth, der Trennung herbe Qual,
Endloses Wonnen ungezählte Zahl —
Und alles was in hochgestimmten Stunden
Als ew'gen Inhalt unser Herz empfunden,
Es musste sich als Lenz in uns entfalten
Der ewig blüht u. Den wir ewig halten! [1]

 

4.
Nur noch einmal eine Stunde

 
Nur noch einmal eine Stunde
Möcht' ich sitzen Dir zu Füssen,
Um von dem geliebten Munde
Deiner Liebe heil'ge Kunde
In mein trunk'nes Herz zu schliessen!
 
Einmal noch die Hand Dir drücken,
Sonnen mich in Deinen Blicken!
Wollte kindlich mich bescheiden,
In den Abgrund meiner Leiden
All mein stilles Glück zu schliessen!
 
Nimmer dürft' es wen verdriessen!
Wollte fromm die Lippen schliessen,
Nicht ein Sterbens Wörtlein sprechen,
Ob das Herz vor bangem Jubel
Drohte in der Brust zu brechen! [1]

 

5.
Ob Felsen sich thürmen himmelkehr

 
Ob Felsen sich thürmen himmelhehr
Das wir uns trennen und meiden,
Ob zwischen uns tost das tiefe Meer,
Es kann uns nicht trennen noch scheiden!
Dem Salamander gleichen wir
Der Pfeile webt im Feuer,
Mein trauter Freund, o glaube mir,
Mit uns ist's nicht geheuer!
 
Urschöpfungs Feuer in uns glüht
Vom Element der Sonne,
Wenn sie den Pfeil herniederschnellt
Trifft sicher er in's Herz der Welt,
Erweckt zu Licht und Wonne!
So ist in uns die Lieb' erwacht,
Die Weckerin hat sie entfacht,
Die Weckerin: Frau Sonne!
 
Und stürzte sich das wilde Meer
Laut brandend an die Welten Brust,
Die Flamme löscht es nimmermehr
Die dort entbrannt in Liebes Lust!
Die Liebe ist ein Element
Ist Element der Sonne,
Sieh' mir in's Herz u. spieg'le Dich
Im Abglanz ewger Wonne! — [1]

 

6.
Meine Brust ist eine Muschel

Meine Brust ist eine Muschel
Deine Liebe ihre Perle,
Die sie fest umschlossen hält
Bis die Schale einst zerspellt.

Wird man dann die Perle finden
Deiner Liebe Werth zu künden,
Löst unschätzbar, echt und rein,
Nicht um eine Welt Sie ein.

Eine Krankheit sei die Perle?
Wohl, ich glaub's! Und sei es drum:
Will an dieser Krankheit sterben,
Selig preisen mein Verderben! [1, 3]
Im Autograf links unten ist vermerkt: im November 1877.
 
 

Quellen:
  1. Stadtarchiv Zürich VII. 84. 2. II. A. Manuskripte. 
  2. Wesendonck, Mathilde: Gedichte. In: Criegern, Friedrich von (Hrsg.): Caritas. Album von Original-Beiträgen Dresdner Dichter und Schriftsteller. Stiftungs-Vorstand der Deutschen Heilstätte zu Loschwitz durch den Vorsitzenden Friedrich von Criegern. Verlag von E. Pierson's Buchhandlung, Dresden 1878. V, 369 S., mit 3 montierten Foto-Tafeln und Holzstich-Vignetten, Druck W. Drugulin, Leipzig, S. 177 - 180.
  3. Cabaud, Judith: Mathilde Wesendonck ou le rêve d'Isolde. Actes Sud, Hubert Nyssen Editeur, Arles 1990, S. 403, 404. 

Bibliografie:
  • Wesendonck, Mathilde: Gedichte. In: Criegern, Friedrich von (Hrsg.): Caritas. Album von Original-Beiträgen Dresdner Dichter und Schriftsteller. Stiftungs-Vorstand der Deutschen Heilstätte zu Loschwitz durch den Vorsitzenden Friedrich von Criegern. Verlag von E. Pierson's Buchhandlung, Dresden 1878. V, 369 S., mit 3 montierten Foto-Tafeln und Holzstich-Vignetten, Druck W. Drugulin, Leipzig, S. 177 - 180.
       
  • Cabaud, Judith: Mathilde Wesendonck ou le rêve d'Isolde. Actes Sud, Hubert Nyssen Editeur, Arles 1990.  


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